Vogel im Käfig

von Nicole Wewior

Eingesandt zum Story Contest der StarTrek Association 2006

"Du steckst schon viel zu lange und viel zu tief drin, Tamy. Pass auf was du tust. Keine Fehler mehr!" die leise aber bedrohliche Stimme Casey' s hatte Tamara noch vor nicht allzu langer Zeit, kalte Schauer über den Rücken gejagt und sie Wort- und Bedingungslos alles tun lassen, was er ihr befohlen hatte. Mit den Jahren hatte sich die Angst vor ihrem großen Bruder aber zu purem Hass gewandelt. 'Tamy' - wie sie diesen Kosenamen, den sie einmal aus dem Mund ihrer Mutter so geliebt hatte, nun verabscheute. Doch in einem hatte er Recht - sie würde nicht mehr mit heiler Haut aus der Sache herauskommen. Zuviel war passiert - sie hatte getötet.

Die junge Frau - nein das sechzehnjährige Mädchen - mit den kurzen, dunklen Strubbelhaaren, dessen Spitzen in verschiedenen Rot-, Gelb- und Grüntönen leuchteten, näherte sich mit ihrem Gesicht dem ihres Bruders, der sich bedrohlich über vor aufgebaut hatte. Beide starrten sich in die Augen, nur wenige Zentimeter von einander entfernt, er stehend, die Arme breit auf dem Tisch aufgelehnt, sie mit den Händen an der Tischkante, noch halb sitzend.

 

"Hast du mich verstanden?" wurde die wütende Stimme Casey' s lauter und fordernder. Eine Hand hatte er vom Tisch genommen und hielt Tamaras Kinn fest. "Antworte!" zischte er und fixierte ihre Augen. "Ich bin nicht taub, Casey." presste sie ruhig und gelassen hervor, während sie Casey böse anfunkelte.

Ein diabolisches Grinsen breitete sich auf dem Gesicht des großgewachsenen Mannes aus, welches die Narbe an der Wange hässlich hervorhob. Langsam lies er sie los und richtete sich auf "Gut." blitzschnell war er wieder zu ihr heruntergefahren, seine Hand, die gerade noch ihr Kinn gehalten hatte, fest um ihren Hals "Wage es nicht, mich zu verarschen, kleine Schwester." seine funkelnden, sie fixierenden Augen, ließen keinen Zweifel daran, das er es sehr ernst meinte.

Ohne ein weiteres Wort lies er Tamara allein zurück. Unbewusst fuhr Tamaras Hand zu ihrem Hals und rieb die Druckstelle. Sie sah mit unbewegter Miene auf die sich schließende Tür, aber in ihren Augen loderte der Hass und die Wut.

 

Einen Moment lag über dem spärlichen Quartier Tamaras eine unheimliche Stille. Kein Geräusch, nicht einmal Tamaras Atmen, war zu hören. Mit einem wütenden Schrei fegte sie lautstark die PADDs von ihrem Tisch herunter. Sie wollte nicht mehr. Nicht das Leben hier auf dem rostigen Kahn, nirgendwo mehr einbrechen, keine Computer mehr manipulieren... nicht mehr mitschuldig zu sein, wenn jemand umkam, weil ihr Bruder ihn als gefährlichen Zeugen sah. Sichtbar atmend stand Tamara einen Moment im Raum ehe sie sich auf ihr Bett fallen lies. Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen. Wie sollte sie es anstellen. Sie wollte frei sein, aber konnte sie das? Von hier zu fliehen war nicht schwer... aber dann? Wo sollte sie hin. Würde das nicht ein Leben auf der Flucht bedeuten?

Ihr Bruder wusste das. Er wusste, das sie es allein nicht schaffen würde. Deswegen hatte er sie weitgehend abgeschottet, damit sie keine Kontakte 'nach außen' knüpfen konnte. Deswegen hatte er sie so in der Hand. Sie fühlte sich wie ein Vogel in einem großen Käfig.

Eine Träne rann über ihr Gesicht. Trotzig wischte Tamara sie weg und raffte sich auf. Sie brauchte eine Dusche.

 

Die Schuhe landeten geräuschvoll an der Wand neben der Tür, ihr graues Shirt nach dem ausziehen achtlos auf dem Bett. Die Bluejeans und den Slip lies sie auf dem Weg in das enge Badezimmer, was nur aus einer winzigen Dusche und Toilette bestand, liegen. Sie wusste, das ihr Bruder ihre Schlampigkeit hasste - deswegen tat sie es.

Während das Wasser über ihren Körper rann, beobachtete sie sich selbst in der Spiegelung der Schiebetür der Duschvorrichtung. Eine lange Narbe zog sich vom Nierenbereich der rechten Seite bis zu den Rippen unter ihren Brüsten hoch. Das war etwa ein Jahr her. Sie hatte sich nicht in die Schilde eines Frachters hacken wollen und ihr Bruder bedrohte sie mit dem Messer. Ihr Schiff wurde getroffen und dadurch verlor Casey die Kontrolle des Messers und fügte ihr die Verletzung mehr aus Versehen zu. Er hatte danach sogar nach ihr gesehen - ob sein Werkzeug auch weiterfunktionieren würde. Auch die Verfärbung an der Schulter war zu erkennen - ihr Bruder hatte sie wegen ihres Fehlers, so heftig geschlagen, das sie gegen die Wand des Maschinenraumes geprallt war.  

Das heiße Wasser hatte die Dusche mittlerweile mit Wasserdampf gefüllt und Tamaras Gedanken lösten sich von den diversen Schrammen ihres Körpers. Sie entspannte sich sogar fast.

 

Warum hatte sie diesen Fehler gemacht? Es war nicht gerade das erste mal gewesen, das sie sich in den Rechner eines Föderationskomplexes hatte eingehackt, auch wenn sie nur bis zu einer gewissen Sicherheitsstufe kam. Warum war sie diesmal bemerkt worden? Wenn sie richtig darüber nachdachte, war es ein Anfängerfehler gewesen.

Seufzend drehte sie die Dusche ab. Der langsam hochkommende, pochende Schmerz an ihrer Schulter, wohl durch die harten Wasserstrahlen ausgelöst, erinnerte sie wieder an ihr aktuelles Problem.

Im winzigen Spiegel über dem kleinen Waschbecken besah sich die Tamara die Person die ihr entgegensah. War das wirklich noch sie? Blass, Ringe unter den Augen, übersäht mit blauen Flecken und Schürfwunden. Nach einem Moment wand sie sich von ihrem Spiegelbild ab - es würde bald losgehen.

Schnell kleidete sie sich wieder an, wählte ein frisches, weißes Shirt. In ihre schwarze Umhängetasche packte sie zwei PADDs, einige Chips, ein Miniterminal und einen kleinen Plüschtiger, den sie vorher noch einen Moment im Arm hielt. Das einzige was sie noch besaß und was nur ihr gehörte. Sie packte ihn immer mit ein, da sie nie sicher sein konnte, wie alles ausging - und sie wollte um keinen Preis von ihm getrennt sein.  

Vom Nachttisch nahm sie einen Dolch der in einer ledernen Scheide steckte und an welcher ein langes ledernes Band angebracht war. Seufzend hängte sie ihn sich quer über die Schulter, so das er locker an der Hüfte hing.

 

Langsam bummelte sie nun zum Transporterraum. Als sie diesen betrat stellte sie verwundert fest, das Jamie mit von der Partie sein sollte. Jamie. Ihr Freund Jamie - ihr einziger Freund hier. Er war erst seit etwa 3 Monaten bei der Truppe und er und Tamara hatte sich schnell angefreundet. Er behandelte auch immer ihre kleinen und großen Wunden. Und genau wie sie, war er einfach in diese Geschäfte hineingeschliddert und gehörte nicht wirklich hier her. Er war ein fähiger Arzt aber ein Stückweit eine Gefahr durch seine vorhandene Moral.

 

Ihr Abgelenktheit ausnutzend, beschloss Casey seiner Schwester noch ein paar Worte mit auf den Weg zu geben und griff, als sie an ihm vorbei ging, nach dem Dolch und zog diesen aus der Scheide. Erschrocken drehte Tamara sich herum und blickte in die scharfe Klinge ihres Dolches.  

"Wehe du versaust das." senkte er die Schneide ein klein wenig, so das sie fast die linke Seite am unteren Kieferknochen berührte.

Wollte sie sich wirklich ewig weiter von ihm schikanieren und bedrohen lassen? Sie musste sich endlich Respekt verschaffen. Ohne weiter darüber nachzudenken, machte sie einen Schritt auf ihren Bruder zu, verletzte sich dabei wissentlich mit der Klinge, die einen feinen Schnitt hinterlies. Seine Überraschung ausnutzend griff sie nach ihrer Waffe und stellte sich zu den Anderen auf die Plattform. Die dünne Blutspur, die jetzt ihren Hals hinunterlief, ignorierte sie absichtlich.

Etwas im Blick ihres Bruders veränderte sich, aber in dem Moment begriff Tamara nicht, was es bedeutete. Im Moment zählte nur der kleine Sieg über ihren Bruder. Lediglich mit einem Winken befahl er den Transport und verlies den Raum

 

Erst als Tamara und die anderen sich im Lagerraum einer kleinen Handelsgesellschaft materialisiert hatten, wischte sie sich das Blut ab und packte ihr Miniterminal aus um ihr Eindringen in den Lagerraum zu maskieren. Jamie warf ihr einen kurzen Blick zu, sah aber, das es ihr gut ging und schloss sich den Anderen an, die Ware zu untersuchen.

 

"Nein... das ist nicht euer ernst! Wenn wir die Medikamente mitnehmen, könnte das vielen das Leben kosten..." hörte Tamara nach einigen Minuten Jamie protestieren.

"Nicht wenn sie schnell bezahlen. Du bist nur hier, um die Ware zu beurteilen... als halt's Maul und mach deinen Job!" schnauzte ein anderer - Thorem, einer von Casey's Stellvertretern - ein Andorianer.

"Vergiss es..."

 

Tamara war wie paralysiert. Noch nie hatte ihr Bruder so etwas stehlen wollen. Sie lies ihr kleines Terminal fallen, achtete nicht mehr auf die roten Punkte die, die sich nähernden Sicherheitler anzeigten. Alarmiert durch das Geräusch, welches das Terminal beim aufschlagen machte, sahen sie zu Tamara "Verdammt Kleine, was soll das?" brüllte der Andorianer.

An alles was danach passierte, konnte sich Tamara nur sehr dunkel erinnern. Die Föderation hatte den Hinweis auf den Hack ihres Systems ernster genommen, als erwartet und hatte Sicherheitspersonal abgestellt, was nun den Raum stürmte. Bevor Tamara betäubt wurde, nahm sie noch war, das Thorem weggebeamt wurde - wahrscheinlich hatte Casey ihn gerettet und die anderen einfach ihrem Schicksal überlassen.  

Tamara begriff noch, das sie sich durch das, was sie im Transporterraum getan hatte, entgültig von Casey befreit hatte und Casey hatte es ebenfalls gemerkt. Er sah keine Möglichkeit mehr, wie er sie zwingen konnte, zu tun, was er wollte und so war sie für ihn nutzlos geworden.

"Tara!" schrie Jamie, als er sie zu Boden gehen sah und fing sie auf. Als er aufsah, blickte er in die Mündung eines Phasers, den ein Sicherheitsoffizier der Föderation auf ihn richtete.

 

 

=^= Akademie der Sternenflotte - Gegenwart

 

Erst als Tamara etwas feuchtes auf ihrer Hand spürte, konnte sie diese Erinnerungen, die in ihr hochgekommen waren, abschütteln und nahm ihr kleines Quartier auf dem Gelände der Akademie der Sternenflotte auf der Erde durch einen Tränenschleier war. Sie hatte angefangen zu weinen, als sie an all die schmerzlichen Dinge erinnert wurde, die sie eigentlich gehofft hatte, zu vergessen. Ihre zitternden Hände hielten ein PADD auf dem eine Nachricht für sie angezeigt war. "Ich beobachte dich, Tamy..." Mehr enthielt die Nachricht nicht, aber auch ohne einen Absende, wusste sie, das es ihr Bruder war. Er hatte sie gefunden und er wollte sie wissen lassen, das er jederzeit auftauchen könnte.

Heute wusste sie, das ihr Fehler von damals ein Hilfeschrei gewesen war. Ein Schrei der gehört worden war auch wenn es zunächst nicht danach aussah. Sie unterdrückte den Drang, dass PADD gegen Wand oder Tür zu werfen - es würde an der Situation nichts ändern und es war auch gut so, denn durch eben diese Tür trat gerade ein junger Mann. Groß, dunkle Haut, Älter etwas als sie - Jamie.

Er war damals in die gleiche Strafeinrichtung gekommen wie sie und sie hatten gegenseitig auf sich aufgepasst - wie schon auf dem Schiff. Er war der Bruder, den sie sich immer gewünscht hatte. Als Tamara dann das Angebot bekommen hatte, das Gefängnis gegen das Studium einzutauschen, hatte sie gewollt, das Jamie ebenfalls die Wahl bekommen sollte. Eines hatte sie von ihrem Bruder gelernt: zu erkennen, wie weit jemand für das, was er will, bereit war zu gehen. Und offenbar war der Sternenflotte ihr Talent genug Wert, auch Jamie die Chance zu geben sich zu rehabilitieren.

 

"Tara..." hob er ein PADD in die Luft, sah dann ihre Tränen "...Du also auch..." stellte er fest und setzte sich zu ihr, unschlüssig was er tun sollte.

Sie wischte sich die Tränen ab und löschte die Nachricht. Tamara wusste, das sie nicht das letzte mal etwas von ihrem Bruder gehört hatte aber sie wusste, das sie jetzt die Kraft und Stärke hatte, das er ihr nichts mehr tun konnte. Sie war in Sicherheit. "Alles in Ordnung... Er kann uns gar nichts mehr." antwortete sie mit noch immer leicht zitternder Stimme auf die unausgesprochene Frage.

Jamie nickte "Lass uns was essen gehen... bevor die Vorlesungen wieder anfangen." erhob er sich.  

Auch Tamara erhob sich, berührte sanft den Plüschtiger auf ihrem Bett, bevor sie Jamie folgte.


Diese Geschichte wurde zum Story Contest der StarTrek: Association eingesandt. Das Copyright dieser Geschichte verbleibt beim Autor der Geschichte (wird am Ende der Voting-Phase, 27.Oktober 2006, bekannt gegeben).