Hass

von Nina Horvath

Eingesandt zum Story Contest der StarTrek Association 2005

„Sie wollen was?“, schnauzte mich Eladius Benyon, inzwischen Admiral, an. Wenn ich ihn nur ansah, steigerte sich meine Wut ins Unerträgliche. Statt seiner gerechten Strafe zugeführt zu werden, hatte man sogar noch weiter befördert und da saß er nun in seinem großen, mit allerhand Antiquitäten vollgestopften Büro in seinem breiten Ledersessel, der dennoch seine stetig angewachsene Körpermasse nicht mehr zu Gänze aufnehmen konnte. Das war die Belohnung für seine Taten, während andere dafür nur die Kälte und Einsamkeit des Weltraums erhalten hatten!  

Mitten im Krieg hatte es für die, deren Tod er verursacht hatte, nicht einmal ein anständiges Begräbnis gegeben.

„Tut mir Leid, ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, Fräulein“, sagte er, wobei er wohl ganz bewusst diese altmodische und für einen Offizier wohl durchaus als respektlos zu bezeichnende Anrede gebrauchte.

„Nein?“, rief ich entrüstet: „Das sollten Sie mich vielleicht genauer ansehen.“ Stirnrunzeln betrachtete er mich, in der Art, wie man ein lästiges Insekt musterte.  

„Tut mir Leid, ich wüsste nicht, woher ich Sie kennen sollte. Ich habe jeden Tag mit so vielen Leuten zu tun, Kollegen, Diplomaten ... Ich kann mir nicht alle merken. Außerdem ... Sie wissen ja sicher, dass für uns Menschen die Andorianer alle gleich aussehen!“ Sein Lachen klang hohl und seltsam verzerrt.

„Sehen Sie mich an!“, erwiderte ich kalt. „Ich weiß wirklich nicht....“, beteuerte er. Er sprach ruhig und klar, aber an seinem fetten Hals trat eine einzelne, pulsierende Ader hervor, die seine zunehmende Nervosität zeigte. „Vielleicht frischt das hier Ihr Erinnerungsvermögen ein wenig auf“, sagte ich und knallte ein gezacktes Messer auf den Tisch. „Das habe ich Ihnen von den Cardassianern mitgebracht. Es wurde inzwischen gereinigt, sonst könnten Sie noch mein Blut dran kleben sehen. Kennen Sie mich immer noch nicht?“, fragte ich. Schweigen folgte. „Kennen Sie mich?“, schrie ich.  

Benyon zupfte nervös an seinem Kragen. Er roch so streng nach Schweiß, dass mir übel davon wurde. Ich spürte einen galligen Geschmack im Mund - die Bitternis ziellosen Hasses. Was ich brauchte, um ihn loszuwerden, war Rache, herrlich süße Rache! Mit einem Gespräch allein kam ich nicht weiter. Benyon würde mich einfach belügen. Er log, wenn er nur den Mund aufmachte. Das hatte er mir eben jetzt ebenso bewiesen wie auch bei unserem letzten Gespräch vor zwei Jahren.

Doch damals war ich körperliches und psychisches Wrack gewesen. Ich war unfähig, die wahre Natur dieses Mannes zu durchschauen, der geradezu unglaublich schnell die Karriereleiter hochgeklettert war und nach außen hin den Anschein absoluter Tadellosigkeit erweckte.  

Ich hatte mich lange Zeit gehen gelassen, und einmal war ich an der Kippe gestanden. Ich hatte bereits ein Messer an meine Pulsadern gesetzt und einen Probeschnitt durchgeführt, aber ich hatte es dann nicht durchgezogen. Denn warum sollte ich sterben, damit ein anderer sich dafür ein schönes Leben machen konnte? Ich hatte die Verzweiflung gegen abgrundtiefen Hass getauscht. Der Hass hatte mich am Leben gehalten und war mein ständiger Begleiter geworden.

„Zu Ihrer Erinnerung: Ich bin Gothani Vernieri. Sie erinnern sich doch sicher, an die Mission, auf die Sie uns geschickt haben? An die wunderbare Rede, die Sie uns vorher gehalten haben? Oder dass Sie uns dem Dominion ausgeliefert haben?“  

Immer stärker roch ich den süßlichen Geruch seines Schweißes. Sein Gesicht hatte eine noch stärker rötliche Färbung angenommen, als bei Menschen normalerweise üblich war.

Der Admiral schwieg jedoch immer noch beharrlich. Das Messer lag verlockend da. Die bläuliche Ader an Benyons fettem Hals pulsierte immer heftiger. Das Messer flog praktisch ohne mein Zutun in meine Hand. Ich hechte nach vorne. Die Spitze der Waffe zuckte nach dem grässlich hervortretenden Blutgefäß. Doch der behäbig wirkende Mann reagierte schnell: Seine Hand schlug nach mir. Ich taumelte zur Seite. Mein Blick war verschleiert. Blind vor Hass warf ich mich erneut auf Benyon. Doch der Überraschungsmoment war verspielt. Ein harter Faustschlag ließ mich zu Boden sinken.

Als ich das nächste Mal zu mir kam, befand ich mich in einer Zelle. Ich spürte sofort, dass ich beobachtet wurde. „Was starren Sie so?“, schnauzte ich den Sicherheitsoffizier, der draußen Wache hielt, an.  

„Entschuldigung“, sagte er und blickte verschämt zu Boden. Es war ein ganz junger Fähnrich mit hellen Haaren, weißer, leicht rosafarbener Haut und einem Grübchen an seinem Kinn. Es wurde mir schmerzlich bewusst, dass er mich an jemanden erinnerte.

„Ich kann Sie ja verstehen. Für Sie bin eine Mörderin. Oder zumindest jemand, der sich des versuchten Mordes für schuldig gemacht hat. Und ich bestreite auch nichts. Aber Sie wissen nun mal nicht, wie schlimm Hass sein kann! Und ich denke, Sie wollen das auch nicht hören.“

Einen Moment lang herrschte betretenes Schweigen, dann wandte er ein: „Ganz im Gegenteil. Es interessiert mich. Ich habe noch drei Stunden Dienst, also sehr viel Zeit.“

Ich hatte meine Geschichte nur wenigen bisher erzählt und meist nur bruchstückhaft, aber der Fähnrich hatte eine äußerst gewinnende Art.

„Gut, ich werde meine Geschichte erzählen. Aber sagen Sie mir erst Ihren Namen“, sagte ich.  

„Ich bin Arkadi Turenjew.“  

„Ein witziger Name!“ entfuhr es mir, obwohl ich im Moment angesichts der ernsten Lage nicht in der Stimmung für solche Kommentare sein sollte.

„Das ist ein ganz normaler Name!“, behauptete er: „Wie heißen Sie leicht?“

„Ich bin Gothani Vernieri“, erwiderte ich kühl. Turenjew lachte.  

„Was ist dran so witzig?“ fragte ich.  

„Na ja, das ist auch nicht grade ein Allerweltsname. Ich kann den wohl nicht mal richtig aussprechen. Aber erzählen Sie doch. Ich bin schon ganz gespannt!“, meinte Turenjew.

„Also gut: Es ist inzwischen schon zwei Jahre aus. Wir sollten auf eine Mission geschickt werden, von der wir wusste, dass sie gefährlich sein würde. Was mir jedoch nicht bekannt war, war, dass die Crew dieses kleinen Schiffes ganz bewusst den Cardassianern ausgeliefert werden sollte...“

= /\ = USS. Boldness, vor zwei Jahren = /\=

„Ich weiß, es ist ein gefährliche Mission, aber ich bin mir gewiss, dass dieses tapfere kleine Schiff seinen Weg finden wird. Vom Gelingen dieser Mission hängt es ab, ob wir die nächste Schlacht gewinnen, vielleicht können wir sogar den gesamten Krieg zu unseren Gunsten entscheiden! Es liegt eine schwere Aufgabe vor Ihnen, aber die Crew ist eine Sammlung der besten der besten Offizieren und Offiziersanwärtern. Wenn jemand diese Aufgabe erfüllen kann, dann sind Sie das!“

Nach der Rede, die Captain Benyon an uns gehalten hatte, brach Jubel unter der Crew aus. Benyon war kein gutaussehender Mann, sondern ein dicklicher Mensch mit der für diese Spezies typischen rosigen Gesichtsfarbe. Aber er war nicht nur ein mitreißender Redner - selbst über die Kom-Verbindung wirkten seine Worte gut - sondern auch ein großes Vorbild für alle von uns. Wir hatten mal in einer ziemlichen brenzligen Lage gesteckt - einer direkten Konfrontation mit einer noch immer unbekannten, übermächtigen Spezies. Benyon hatte nach dem Tod des Captains das Kommando übernommen und das Schiff trotz der verzweifelten Lage sicher nach Hause gebracht. Er hatte sich als hervorragender Kommandant erwiesen und noch mehr. Ich erinnerte mich, wie ich nach vielen Stunden zwischen Nervosität und Todesangst weinend zusammengebrochen war. Er hatte tröstend seine Hand auf meine Schulter gelegt und genau die richtigen, tröstenden Worte gefunden. Seitdem war er mein großes Vorbild.

= /\ = Dominionschiff, drei Tage später =/\=

Ich fiel zu Boden, die Hand an die Wange gedrückt, die noch von dem Schlag schmerzte und presste hervor: „Ich werde bestimmt nichts sagen, da könnt ihr machen, was ihr wollte!“  

„Die Starrheit dieser Spezies ist beeindruckend“, meinte der Vorta mit einer so süßlichen Stimme, dass man ihn allein dafür hassen musste. Er kniete sich neben mich hin und betrachtete mich mit einer Faszination, wie ein Forscher ein Insekt. Nicht feindselig oder gar hasserfüllt, sondern voll mitleidslosem Interesse.  

Möglich, dass ein Individuum, dessen Existenz gänzlich auf das Dienen ausgerichtet war, den Wert eines Lebens nicht zu schätzen wusste – und genau das machte die Vorta so gefährlich. Leben und Sterben – solange es dem Willen der Gründer folgte, machte es keinen großen Unterschied für sie.  

Der Vorta streckte langsam die Hand nach meinen Fühlern aus. Die unkontrollierten Zuckungen, die durch die Misshandlungen ausgelöst worden waren, musste ihn wohl faszinieren. Ich lag noch immer schmerzverkrümmt da, aber heimlich spannte ich meine Muskeln an, versucht, auf keinen Fall ruckartige Bewegungen zu machen, schnellte ich vor und biss den Vorta in die Hand. Der Hass versetzte mich in einen Zustand zurück, in dem sich das andorianische Volk vor ein paar hundert Jahren befunden hatte. Krieger, aber keine hochstilisierten Kämpfer für die Ehre, sondern vielmehr alle Möglichkeiten und Listen ausschöpfende Wilden.

Der Vorta ließ einen überraschten Aufschrei hören und gab mir so Gelegenheit, ihn unter die Gürtellinie zu treten. Doch das erhoffte Ergebnis blieb aus – Ich könnte nur mutmaßen, dass das daran lag, dass sich diese Spezies ausschließlich durch Klone fortpflanzte. Ich ließ mich jedoch davon nicht beirren, sprang nun endgültig aus der Hocke hoch und versuchte ihm meine Finger in die Augen zu rammen.

In dem Moment trat ein Cardassianer dazwischen. Er war es auch, der die „Verhöre“ durchführte. Ein großer Mann mit so groben Gesichtszügen, dass sie wie aus Holz geschnitzt wirkten. Seine schwieligen Hände waren fast doppelt so breit wie meine. Mehr als seine starren Züge oder die ausdruckslosen, dunklen Augen spiegelten sie die Seele des Cardassianers wieder: Er war ein Mann für das grobe, der nicht viel darüber nachdachte, was er tat. War er böse?  

Vermutlich nicht, auch wenn er auf mich wie ein leibhaftiger Dämon wirkte. Es bereitete ihm ganz im Gegensatz zu dem Vorta offensichtlich kein Vergnügen, mich leiden zu sahen. Vielmehr schien es ihm an dem nötigen Verständnis für die Gefühle anderer zu mangeln.  

Nein, dieser Mann war nicht von sich aus böse, aber als gedankenloser Befehlsempfänger stützte er die Macht der Skrupellosen. Er packte meine Hand und drehte sie herum. Es knirschte hörbar, als das Gelenk brach. Ich schrie einfach nur noch, so furchtbar war der Schmerz. Ich glaubte ihn nicht aushalten zu können – aber genau das war das Furchtbare: Dass das Unerträgliche einfach ertragen werden musste.

Der Vorta betrachtete missmutig seine Hand, in der noch deutlich die Abdrücke meiner Zähne zu sehen waren, zuckte jedoch dann die Schulter, blickte auf mich herab und meinte gleichmütig: „Höchst bemerkenswert!“

= /\ = Gefängniszelle, wieder in der Jetztzeit = /\ =

„Und, haben Sie Ihnen verraten, was sie wissen wollten?“, fragte mich Turenjew ungeduldig. „Natürlich“, erwiderte ich: „Wer hätte das nicht? Ich wurde stundenlang verhört und wenn ich aufbegehrte, geschlagen. Manchmal sogar einfach nur so, ohne dass ich den Grund wusste. Am Ende war ich so weit, dass ich von selbst alles sagte, von dem ich glaubte, dass es für das Dominion interessant sein könnte, nur um endlich in Frieden gelassen zu werden.“

„Es muss schrecklich gewesen sein, wie haben Sie das nur ausgehalten?“, fragte mich der Fähnrich. „Ich habe es ertragen, weil es ertragen werden musste, ganz einfach. Zuerst habe ich das Dominion für alles gehasst, dann wollte ich nur sterben und am Ende war mir alles gleichgültig. Seltsam. Ich dachte eher, dass der Hass zunehmen würde, aber inzwischen fühle ich nichts mehr gegen das Dominion, selbst wenn mir der Vorta, der bei meinen Misshandlungen dabei war, von mir stehen würde, würde ich nichts empfinden. Es sind allesamt nur Befehlsempfänger, nichts weiter. Aber Benyon, der uns auf diese Mission geschickt hat, wusste genau, was er tat.“  

„Na ja“, warf der Fähnrich ein: „Er hatte sicher geglaubt, dass Sie es schaffen.“

„Eben nicht“, erwiderte ich: „Ich habe es später durch ein zufällig belauschtes Gespräch herausgefunden: Benyon rechnete mit unserer Gefangennahme. Er hat uns absichtlich falsche Informationen zugespielt, damit wir diese selbst unter der schlimmsten Folter glaubwürdig weitergeben würde. Es waren bestimmte Koordinaten, zu denen das Dominion gelockt werden sollte, um es dann in eine Falle laufen zu lassen. Er hat damit seine eigenen Leute verraten und sie an dem Feind ausgeliefert. Sein Plan ging auf und er wurde so etwas wie ein Kriegsheld. Meine Kollegen wurden vielleicht auch Helden – aber sie sind nur einige der unzähligen Gefallenen, deren Namen keiner kennt. Dass ich selbst überlebte, war ein Wunder. Das Schiff, auf dem wir gefangengehalten wurde, wurde von einem Sternenflottenschiff angegriffen. Es war so eine Elitetruppe der Marines. Das Dominion wollte das um jeden Preis verhindern und tötete alle, bevor ein Schuss den Schildgenerator kurzfristig außer Kraft setzte und wir weggebeamt werden konnten. Ich selbst bekam noch ein Messer in die Rippen, konnte aber gerettet werden."

„War es das Messer mit dem Sie...?“, fragte Turenjew.  

„Ja“, meinte ich ungerührt: „Genau das Messer. Ich war der Meinung, dass Gleiches mit Gleichem vergolten werden sollte.“

„Das ist aber keine Lösung“, sagte der Fähnrich.

„Vielleicht. Aber was ist eine Lösung? Ich habe keine Beweise, kann also ein Gerichtsverfahren nicht einmal eröffnen. Benyon kann sich hervorragend verstellen. Als ich zurückgebracht wurde, hat er mich sogar auf der Krankenstation besucht und recht nett mit mir geredet. Manchmal frage ich mich, ob ein Mann, der sich so verstellen kann, nicht vielleicht sogar sich selbst belügt. Mir wird niemand glauben, wenn ich ihn anklage. Aber soll ich etwa einfach so weiterleben, als sei nichts passiert? – Ich habe es eine Weile lang versucht, aber es geht mich. Benyon hat uns als Marionetten in seinem kranken Spiel benutzt. Der Hass auf ihn frisst mich auf und ich will, dass er dafür büßt!"

Turenjew sah mich lange an und meinte dann: „Aber durch Rache werden die Toten nicht wieder lebendig und auch der Schmerz wird nicht vergehen.“  

„Das kann sein“, meinte ich: „Aber der Gedanke an Rache ist die einzige Möglichkeit, dieses unselige Leben zu ertragen.“

„Ein Leben ist nie unselig. Wir alle sind in die Welt geboren, um ein Ziel zu erfüllen. Sie haben Ihres nur im Moment aus den Augen verloren“, widersprach er mir. „Und was soll das Ziel sein?“ fragte ich leise.  

„Die Gerechtigkeit. Man wird Sie vor Gericht bringen, das ist eine gute Gelegenheit, um die Wahrheit ans Licht zu bringen“, versuchte Turenjew mich zu ermutigen.

„Ich denke nicht, dass das was bringt“, winkte ich ab.  

„Das kann man nie wissen. Wichtiger, als Erfolg zu haben, ist es jedoch, die Welt wachzurütteln. Die Geschichte ist noch nicht geschrieben. Zur Zeit sind alle so euphorisch wegen des Sieges, dass niemand auch nur entfernt daran denkt, dass auch wir unkorrekte Mittel eingesetzt haben...“  

Ich war außerordentlich skeptisch, aber Turenjews Vorschlag war, nachdem die Rache durch körperliche Gewalt gescheitert war, die einzige Option, die ich noch hatte.

Ob die Gerechtigkeit siegen würde? - Sicherlich. Aber möglicherweise musste noch viele Jahre vergehen, ehe auch die Sternenflotte begreifen würde, dass in einem Krieg auf allen Seiten nur Schuld und Grausamkeit gab.  


Diese Geschichte wurde zum Story Contest der StarTrek: Association eingesandt. Das Copyright dieser Geschichte verbleibt beim Autor der Geschichte (wird am Ende der Voting-Phase, 27.Oktober 2005, bekannt gegeben).