Für immer Borg

von Nina Horvath

Eingesandt zum Story Contest der StarTrek Association 2003

Helles, gleißendes Licht umfing sie, als sie blinzelnd die Augen einen Spalt öffnete. Wie gerne hätte sie die Lider für immer geschlossen gehalten und sich in das heimelig dumpfe Grün ihrer Welt geflüchtet.

Es war still...so unendlich still. Sie war völlig allein mit ihren verwirrenden Gedanken. Ihr Körper schmerzte, vor allem ihr Kopf fühlte sich an, als würde er aus einer einzigen klaffenden Wunde bestehen. Sie regte sich und als ihr selbst ein wimmernder Laut entfuhr, wurde sie ihrer eigenen Schwäche auf grausame Weise bewußt. Sie konnte und wollte ihr nicht nachgeben, setzte sich mit einem Ruck auf und wäre fast wieder nach hinten gefallen, so stark war das Schwindelgefühl, das sie ergriff. Sie versuchte sich aufzustützen. Es gelang ihr nicht. Fassungslos hob sie den linken Arm, an dem die Hand fehlte, starrte ihn an und konnte es trotzdem nicht glauben.

Mit einem Ruck schwang sie sich von der Liege, etwas über ihr fing an zu piepen und in dem Moment sackte sie auch endgültig wieder in sich zusammen. Panik überfiel sie. "Nicht aufregen", sagte eine Stimme. Die dazugehörige Gestalt sah sie nur verschwommen mit einem Auge. "Sie sind in Sicherheit." Doch was beruhigend klingen sollte, bewirkte genau das Gegenteil.

Sie war überzeugt davon, daß man sie nach dem Auftreten solcher Fehlfunktionen nur noch abschalten konnte. Sie schrie danach, erlöst zu werden - aber die Schreie erreichten das Hivebewußtsein gar nicht, sondern entfuhren nur in Form von undifferenzierten Lautäußerungen, die einen metallischen Nachklang hinterließen, ihren Vocalprozessor.

Zuerst war sie zu schwach, um ihrer unseligen Existenz ein Ende zu setzten und dann...irgendwann einmal hatte sie gelernt, gleichgültig zu sein. Es war der einzige Weg, die Schmerzen zu ertragen, die Stille in ihrem Kopf ertragen und die mitleidigen und gleichzeitig ängstlichen Blicke zumindest ignorieren zu können. Daß sie ihren Dienst auf ihrem alten Schiff wieder aufgenommen hatte, machte alles vielleicht noch schwieriger. Und trotzdem ging das Leben für sie weiter.

Es war keineswegs so, daß sie glücklich oder zufrieden mit ihrer Lage gewesen wäre, aber irgendwann war sie so weit, daß sie bereit war, damit zu leben.

Die meisten Implantate hatte man entfernen können, die fehlende Hand war durch eine künstliche ersetzt worden, die seltsamerweise menschlicher wirkte als die andere, an der Teile des Exoskelett zu sehen waren und die immer noch die Assimilisationsröhrchen enthielt.

Ein wenig tat es ihr leid, daß sie keinen Schlaf mehr benötigte und dementsprechend nicht mehr zu träumen im Stande war, aber wahrscheinlich war es auch besser so. Denn wer hätte auch nur erahnen können, welche Nachtmahre sie heimgesucht hätten?

"Der Bericht, Sir", meinte sie und drückte ihrem Vorgesetzten, Lieutenant Commander Ahlstedt, das Padd in die Hand. "Danke, Ensign", erwiderte er, nahm es ihr aus der Hand und prüfte den Inhalt. Sie wollte sich zum Gehen wenden, aber er hielt sie zurück. "Einen Moment, ich möchte noch kurz mit Ihnen sprechen." Sie blieb wie angewurzelt stehen. Der Bericht konnte es nicht sein, ihre Arbeit im wissenschaftlichen Labor hatte sich um ein vielfaches verbessert. Sie war keine Borg mehr, hatte sich aber einen kleinen Teil der unvorstellbaren Perfektion des Kollektivs erhalten können. "Etwas nicht in Ordnung mit dem Bericht?", fragte sie. Einen kurzen Moment lang klang die frühere Unsicherheit durch die emotionslose Hülle.

"Am Bericht ist alles normal, obwohl mir auch hier einiges auffällt: Er ist so...sachlich." "Aber Sir, Sie haben mir immer vorgeworfen, meine Berichte wären zu subjektiv." "Ich weiß", meinte er. "Ich mußte Sie darauf aufmerksam machen, aber im Grunde genommen hat mir Ihre emotionale Art, die Begeisterung für Ihre Arbeit, die in jedem Wort durchbrach, gefallen. Und jetzt lese ich nur mehr nüchterne Zahlen, Beschreibungen von beweisbaren Tatsachen, aber nichts mehr von Ihren berühmten kühnen Schlußfolgerungen."

Eine unangenehme Stille entstand. Es schien, als hätte sich die Welt plötzlich umgekehrt, nun, da sie plötzlich in der Lage war, ihre Arbeit so zu erledigen, wie es der Lt. Cmdr. immer von ihr verlangt hatte, nahm er genau daran Anstoß.

"Ich will Sie damit nicht kritisieren", sagte Ahlstedt. "Ich mache mir nur Sorgen um Sie. Sie isolieren sich völlig von Ihren Kollegen, verschwinden sofort nach dem Dienst in Ihr Quartier, nehmen an keinen gesellschaftlichen Anlässen mehr teil."

Sie stand da wie ein Stock, aber ihre Hände zitterten ein wenig. Eine unbedeutende Fehlfunktion, sagte sie sich, nichts weiter als eine unbedeutende Fehlfunktion.

"Würden Sie heute abend mit mir ausgehen?", fragte Ahlstedt unvermittelt. Sie brachte keinen Ton heraus, sondern schüttelte nur ihren Kopf. Plötzlich lächelte er und sagte: "Ein 'nein' lasse ich nicht gelten. Ich hole Sie um 18:00 von Ihrem Quartier ab."

Sie stand vor dem Spiegel und betrachtete sich selbst unzufrieden. Das hübsche Kleid und die sorgfältig aufgetragene Schminke änderten nichts, aber auch rein gar nichts an der Tatsache, daß man ihr auf hundert Schritte Entfernung merkte, daß sie eine Borg war.

Ihr graute vor dem Gedanken, daß sie nach Ende der Mission ihre Eltern aufsuchen mußte. Sie hatten sich bestimmt längst mit ihrem Tod abgefunden und ihren vollen Haß auf die Borg gelenkt, die ihnen ihre Tochter, die in ihren Augen nie wirklich erwachsen geworden war, entrissen hatten. Und nun mußten sie zusätzlich verwinden, daß ihre Kleine zu genau diesem schlimmsten ihrer Feinde geworden war.

Der Türsummer ging los. Es war genau 17:59. Der Lieutenant Commander blieb in der Tür stehen und musterte sie von oben bis unten. Er lächelte dabei und hielt ihr dann eine rote Rose hin. Er wirkte verlegen. Ihr gefiel dieser Gesichtsausdruck, es war ein Charakterzug, den sie an ihm nicht kannte. Sie hatte Ahlstedt für einen Mann gehalten, der seine überlegene Strenge nicht einmal im Schlaf ablegte.

Es war eine seltsame Situation, als sie beinahe schweigend den Gang entlang gingen und schließlich im Holodeck ankamen. Sie war sich sicher, daß Ahlstedt alles bis ins kleinste Detail geplant hatte und es überraschte sie, daß er sich so viel Mühe gemacht hatte. Ein bißchen zu viel Mühe für jemanden, der ein psychisch labiles Mauerblümchen einfach nur aus ihrer gewohnten Monotonie reißen wollte.

Sie hatte eines der üblichen Szenerien erwartet. Ende 20. Jahrhundert, ein Café oder Restaurantszenario, wie sie im Moment gerade wieder modern waren. Aber sie fand sich auf dem Gipfel eines Felsen wieder, unter dessen Fuß sich die Wüste ausbreitete. Ahlstedt hatte eine Decke mitgebracht und etwas zu trinken. Alles schien minutiös geplant worden zu sein, aber trotz der Mühe wirkte es das ganze ein wenig verkrampft.

Aus irgendeinem Grund lächelte sie dennoch. Zunächst sprachen sie nur wenig, aber nach und nach lockerte sich die Stimmung ein wenig auf und nach einiger Zeit ertappte sie sich dabei, wie sie mit Feuereifer in eine Fachsimpelei verwickelt war. Die alte Begeisterung, die sie für so viel verschiedene Dinge aufzubringen vermocht hatte, war wieder zurückgekehrt. Ahlstedt indes war nach und nach immer stiller geworden. Er sah sie auf seltsame Weise an, sodaß sie verstummte. Plötzlich zog er sie an sich und küßte sie. Sie schloß dabei die Augen, vergaß alles um sich herum. Es war das erste Mal seit langem, daß sie sich wieder wie ein Mensch vorkam und sich dabei gut fühlte.

Doch mit einem Mal spürte sie seine Hände auf ihrem Exoskelett. Das brachte sie mit einem Schlag in die Realität zurück. Er lächelte sie an und strich ihr eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht. Er streifte dabei ihr Kortikalimplantat, sie bezweifelte, daß er es nicht bemerkte. Vermutlich hatte er es sogar mit Absicht getan. Die Faszination gegenüber den Borg war mindestens ebenso groß wie die Furcht vor ihnen. Komisch war es schon, daß jemand, der sie mit kaum mehr als belehrender Herablassung behandelt hatte, nun plötzlich Interesse für sie zeigte. Was, wenn jedes bißchen, das ihr noch geblieben war, darauf zurückzuführen war, daß sie Borg war? Von den fehlerfreien Berichten angefangen bis hin zum Interesse des letzten paar Menschen, der sich noch mit ihr abgab? Erst jetzt wurde ihr bewußt, wie wenig sie doch insgesamt erreicht keine, kaum Freunde und was ihre Arbeit anbelangte, so war ihre Begeisterung für die Wissenschaft zwar groß gewesen, aber ihr tatsächliches Talent war eher durchschnittlich. Jetzt stand ihr das gesammelte Wissen so vieler verschiedener Spezies zur Verfügung, aber ihre Welt war nur noch beschränkter geworden.

Sie war und blieb ein Schatten ihrer selbst, ihr Leben, wie es jetzt war, war nicht ihre wahre Existenz. Sie war aus einem Dasein aus Schmerz und Einsamkeit geflohen, aber auch eine süße Lüge war und blieb eine Lüge. Sie konnte verleugnen, daß sie eine Borg war, aber ein Leben als normaler Mensch würde sie nicht zufriedenstellen. Es hatte ihr bis jetzt keine Erfüllung gegeben und würde es auch jetzt nicht auf Dauer. Der flüchtige Hauch des Glücks hatte sie gestreift, aber es war etwas falsch daran, ohne daß sie es genau hätte definieren können. Sie wußte noch nicht genau, wie sie es anstellen würde, aber ihr Entschluß war gefallen: Sie würde ins Kollektiv zurückkehren. Vielleicht würde sie es ein wenig bedauern, daß sie nie wieder dieses Gefühl empfinden konnte, daß ihre aufkeimende Liebe tief in ihrem Inneren dahinkümmern und sich niemals zur vollen Blüte entfalten würde. Aber das war ein kleines Opfer, das sie für das Gefühl der allumfassenden Vollkommenheit bereit war, zu erbringen...


Diese Geschichte wurde zum Story Contest der StarTrek: Association eingesandt. Das Copyright dieser Geschichte verbleibt beim Autor der Geschichte.